Nachdem die Capanna Regina Margherita und die Gnifetti Punta gemeinsam geführt werden, war auch hier die Verköstigung exzellent, so dass wir wieder zu Kräften kommen und regenerieren konnten. Viele von uns schliefen ausgiebig im Lager, bevor wir am Abend wieder ein vorzügliches Mehrgänge – Menu genießen durften. Natürlich wurde auch hier wieder die für eine Spaghettirunde obligatorische Pasta als Vorspeise gereicht. Während des Abends riskierte man immer wieder einen Blick aus den Fenstern der Hütte und glaubte, morgen wäre Weihnachten; es schneite unaufhörlich.
Die Nacht war von individuell mehr oder weniger Kopfschmerzen geprägt, so dass am nächsten Morgen des mittlerweile vierten Tags der eine oder andere verkatert am Frühstückstisch saß. Ein Tritt vor die Hütte bestätigte die Vermutung, dass uns die Nacht wohl einen halben Meter Neuschnee beschert hatte, und es schneite immer noch. Nachdem die Studienteilnehmer zeitgleich mit ihren Untersuchungen (Speichelprobe, Blutdruck- und Pulsmessung) beschäftigt waren, dauerte das Frühstück heute etwas länger als üblich. Oli hatte sich mit dem Führer der ungarischen Gruppe abgesprochen, dass man zeitgleich aufbreche und sich beim Abstieg mit dem Spuren abwechsle.
So standen am späten Morgen ungefähr zwanzig Bergsteiger aufbruchsbereit im Schnee vor der Hütte – die Deutschen sollten den Anfang machen. Weniger beherzt als zögerlich brachen wir auf. Nach wenigen Schritten brachen wir auf Geheiß unseres bis zur Hüfte im Schnee eingesunkenen Führers Oli ab und mussten erkennen, dass wir nichts erkennen. Zu dem tiefen Schnee addierte sich die miserable Sicht. Nachdem bereits die erste Etappe eine steile Rampe darstellte, war die Gefahr eines Lawinenabgangs zu groß, und wir beendeten unser Vorhaben. Die Ungarn hingegen wollten nicht klein beigeben und setzten ihr Himmelfahrtskommando fort.
Ungefähr zwei Stunden später trafen sie völlig erschöpft wieder bei uns in der Hütte ein und berichteten uns von ihrem Abenteuer, welches sich leicht zu einem Drama hätte auswachsen können. Ein Mitglied der ungarischen Gruppe war bei uns geblieben und hatte uns währenddessen von dem einen oder anderen „Geniestreich“ ihres Führers berichtet.
Wir hatten uns die Zeit bis zum Mittag mit Gesprächen, Lesen und Kartenspielen vertrieben. Endlich riss der Himmel auf, und wir schickten uns an, unsere Rucksäcke zu packen, aufzusetzen und die Klettergurte zu fixieren. Schnell waren unsere beiden Seilschaften gebildet, und so standen wir bald startbereit vor der Hütte. Die Ungarn hatten sich uns angeschlossen und folgten uns. Unser Glück war zum einen ein Zeitfenster von ca. drei Stunden mit einer stabilen Wetterlage – ein wolkenloser Himmel mit einer phantastischen Sicht in die umliegende Bergwelt beglückte uns -, zum anderen der Umstand, dass Karawanen von Bergsteigern den Weg nach oben suchten und uns den Weg zur Gnifettihütte spurten.
Den potentiell sechsten Gipfel – den versäumten Corno Nero – ließen wir nach langem Zögern und seilschaftsinternen Diskussionen, verbunden mit einigem Wehmut, links liegen und erreichten nach zweieinhalb Stunden die Gnifettihütte, wo wir, eingesetzt als „Spediteur“ ein paar Nahrungsmittel – Vorräte der Rifugio Margherita dem Hüttenpersonal übergaben und ein paar dort zurück gelassene Habseligkeiten in unsere Rucksäcke packten. Weiter ging es, erstmalig ohne Steigeisen und Seil, zur Bergstation der Gletscherbahn, wo wir gerade noch rechtzeitig vor dem nächsten ausgiebig einsetzenden Niederschlag in die Gondel einstiegen.